Werteorientierte Führung. Ein Praxisbeispiel für gelungene Umsetzung: Osterath GmbH

Werteorientierte Führung

Ein Praxisbeispiel für gelungene Umsetzung: Osterath GmbH

 

Welche Bedeutung haben Werte in der Führung? Unterscheiden sich Führungskräfte in ihrer Führungsarbeit darin, ob sie nach bestimmten Werten leben und führen? Diese und ähnliche Fragen beschäftigen mich seit vielen Jahren in meiner Arbeit als Coach.

 

Oft richten wir unser Tun und Handeln an Werten aus, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wir alle kennen es z.B. aus dem Alltagsgeschehen. Wir suchen z.B. Kühlschränke nach den im Internet vergebenen Bewertungen aus. Wir buchen das Restaurant oder Hotel für den nächsten Urlaub, das gute Bewertungen erhalten hat. Genauso wählen Bewerber[1] das Unternehmen aus, dessen Werte ihnen wichtig sind und mit denen sie sich identifizieren. Bewertungen (und damit auch Werte) spielen in unserem Alltag eine wichtige Rolle, wenn es um anstehende Entscheidungen und Verhalten geht.

 

Und das gilt im privaten genauso wie im beruflichen Kontext.  Werte sind gewissermaßen der Kompass oder der Ankerpunkt für Tun und Handeln. Werte beschreiben das, was uns wichtig ist und wonach wir leben wollen. Nur wenn ich mir dessen bewusst bin, werde ich auch souverän und authentisch sein. Meine Beobachtung ist, dass in den letzten Jahren die moralischen, ethischen Grundvorstellungen im Bereich Führung immer wichtiger werden. Und gerade jetzt in der Zeit nach Corona und im Zeitfenster zunehmender Digitalisierung, Komplexität und Arbeiten auf Distanz sind Werte um so wichtiger. Viele Unternehmen und Führungskräfte proklamieren Werte in ihren „hübschen Leitlinien auf Hochglanzpapier“, doch – fragt man das Umfeld – leben sie ihre Werte nicht. Die moralische Grundhaltung von Führung wird also oft nicht (vor-) gelebt. Das Ergebnis: Die Enttäuschung wird bei den Mitarbeitern zunehmend größer. Diese auf den ersten Blick ernüchternde Erkenntnis habe ich zum Anlass genommen, Kontakt zu Führungskräften unterschiedlicher Branchen (Banken, Verwaltung, Handwerk, Industrie) herzustellen und diese in Interviews zu fragen, welche Bedeutung Werte für sie in der Führung haben. Folgende Ergebnisse – basierend auf zufällig an gesprochenen Führungskräften – lassen sich festhalten:

-       Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten spielt eine weit größere Rolle als von ca. 20 Jahren. Im Bereich von Vertrauensbildung sind Wertschätzung, Kollegialität und Teamentwicklung zu sehen.

-       Vertrauen als Kulturwert hat Relevanz nicht nur nach innen in eine Organisation, auch nach außen im Sinne von Mitarbeitergewinnung und Image.

-       Vertrauen zu fördern setzt aktives Vorbildverhalten von Vorgesetzten voraus. Das bedeutet, den Dialog mit Mitarbeitern suchen, auf inhaltlicher Ebene aber auch auf informeller Ebene bzw. Beziehungsebene. Interesse am Gegenüber zeigen, Fragen stellen und Orte der persönlichen Begegnung zu schaffen, empfehlen die Befragten aus deren Erfahrungen.

-       Eine Fehlerkultur wird von den Befragten als grundlegend betrachtet. Es gilt die Devise „Fehler passieren. Aus Fehlern gemeinsam lernen“. 

-       Authentizität und „Verlässlich sein“ wird von allen Befragten als äußerst wichtig gesehen. 

-       Feedback einfordern und Eigenreflexion im eigenen Verhalten wird als sehr hoch angesehen.  

 

An dieser Stelle möchte etwas detaillierter auf ein Interview eingehen, das ich mit Thomas Osterath, Geschäftsführer bei Osterath GmbH, einem Mittelstandunternehmen in Willich (www.osterath-gmbh.de), geführt habe. Die Osterath GmbH wurde im Jahr 1854 gegründet und ist ein inhabergeführter Familienbetrieb seit Generationen. Angefangen mit einer Hufschmiede für den Beschlag von Arbeitspferden hat sich das Tätigkeitsfeld im Laufe der Jahrzehnte auf den Bereich Fahrzeugbau verlagert. Heute ist die Osterath GmbH ein Spezialist rund um das Nutzfahrzeug: Fahrzeugbau einschließlich Entwicklung und Konstruktion, Mechanik, Instandsetzung und Service, Ersatzteilhandel und Handel von gebrauchten Nutzfahrzeugen. Die Osterath GmbH umfasst derzeit 25 Mitarbeiter. 

In der Position des Geschäftsführers sieht Thomas Osterath eine sehr hohe Verantwortung für die gelebte Kultur im Unternehmen. Der Einfluss ist für ihn sehr facettenreich. Der Kultur in seinem Unternehmen misst Thomas Osterath einen hohen Stellenwert bei. Gründe sind für ihn der klare Einfluss, den die Kultur auf die Performance, die Leistungsbereitschaft und Zielerreichung hat. Die Kultur - so seine Überzeugung - kann je nach Ausprägung im schlimmsten Fall blockieren und im besten Fall motivieren und die Performance steigern. Eine gepflegte (im Sinne von sich damit aktiv auseinandersetzen) Kultur im Unternehmen hilft aus Sicht des Geschäftsführers, Mitarbeitern an das Unternehmen zu binden; eine Fluktuation und der Verlust wertvoller Mitarbeiter lässt sich reduzieren. Gerade in den aktuellen unsicheren und turbulenten Zeiten fördert eine gepflegte Unternehmenskultur Sicherheit und Stabilität. Kultur fängt für ihn Mitarbeiter auf und hilft, den Zusammenhalt zu fordern.

Als Kulturgestalter sieht es Herr Osterath als seine Aufgabe, gemeinsam klare Ziele zu formulieren und eine Unternehmensphilosphie und ein Leitbild zu erarbeiten. Orientierung den Mitarbeitern zu geben, ist für ihn eine sehr wichtige Leitplanke.

Für Herrn Osterath ist das Vorleben der Unternehmenskultur essentiell. Aus seiner Sicht stärkt und garantiert das die Glaubwürdigkeit innerhalb der Belegschaft. Dass Herr Osterath das Kriterium der Glaubwürdigkeit sehr stark für sich als wichtig erachtet, drückt er in einer landläufigen Formulierung aus „Der Fisch beginnt immer vom Kopf an zu Faulen. Von daher sollte der eigene Führungsstil und dessen Wirkung in gewisser Regelmäßigkeit kritisch hinterfragt, überprüft und ggf. korrigiert werden“, so die Empfehlung von Thomas Osterath.

 

Frage an Herrn Osterath: Welche Kultur ist aus Ihrer Sicht eine gute Grundlage für „gute Performance“?
Antwort Herr Osterath: „Eine Kultur sollte erarbeitet, gepflegt, geschützt und verteidigt werden. Attribute wie gegenseitige Wertschätzung, Respekt, Achtung, Anerkennung und die Möglichkeit der Selbstverwirklichung sind aus meiner Sicht die Grundlage für ein gutes Betriebsklima. (…) So hilft mir beispielsweise meine morgendliche Begrüßungsrunde, einen aktuellen Stimmungsscheck einzufangen. Im besten Fall lassen sich kleine Unpässlichkeiten direkt klären und abstellen, so dass eventuell aufkommende Störfeuer vermieden werden können.“

 

Frage an Herr Osterath: Welche Bedeutung hat für Sie das Thema Vertrauen in der Zusammenarbeit in der heutigen Arbeitswelt?
Antwort Herr Osterath: „Das Vertrauen sollte gegenseitig zwischen Arbeitgeber und -nehmer bestehen. Es ist die Grundlage für ein funktionierendes Miteinander und das Fundament für Alles. Dazu gehört auch, dass man sich aufeinander verlassen kann. In einer turbulenten, ideologisch getriebenen und gesellschaftlich veränderten Gegenwart können Grundwerte ins Wanken geraten und Unsicherheit bei jedem Einzelnen hervorrufen. Das, was gestern richtig war, kann heute als falsch eingestuft werden. (…)  Ich denke, dass dem Thema „Vertrauen“ gerade in der gegenwärtigen Zeit einen großen Stellenwert beizumessen ist. Gerade, weil in unruhigen Zeiten oftmals das Vertrauen erschüttert werden kann oder gar in Unsicherheiten bzw. Ängsten münden könnte. Dies würde dann ernsthaft mit einem funktionierenden Betriebsklima konkurrieren. (…). Vertrauen ist meines Erachtens die Grundlage für ein produktives Miteinander am Arbeitsplatz. Man muss sich aufeinander verlassen können, in einem Team ist dies unerlässlich. In einem komplexen Arbeitsumfeld kann keiner alles alleine machen und ist auf die vertrauensvolle Mitarbeit der Mitarbeiter und Kollegen angewiesen. So muss ich mich als Vorgesetzter darauf verlassen können, dass meine Mitarbeiter zuverlässig und prozesskonform arbeiten. Schließlich geht es um den Unternehmenserfolg. Und am Ende ist man in einem mittelständischen Familienbetrieb als Geschäftsführer für alles verantwortlich und haftbar, was in dem Betrieb passiert. Ich denke, dass eine Fluktuationsquote von nahezu 0 Prozent und langjährige Betriebszugehörigkeiten von teilweise über 40 Jahren für sich sprechen.“

 

Frage an Herrn Osterath: Was glauben Sie, sagen Ihre Mitarbeiter?
Antwort Herr Osterath: „Gegenseitige Wertschätzung gibt auch Raum für Feedback und der Möglichkeit der freien Meinungsäußerung. Auch andere Meinungen und Argumente sind erlaubt und werden herangezogen. Nur so schafft man ein kreatives, freies Denken, von dem ein Unternehmen profitiert. Oft liegt der beste Weg in einem Konsens, der durch ein Einbinden der Mitarbeiter im Idealfall gefunden wird. Es ist toll, wenn unsere Mitarbeiter angstfrei ihren Standpunkt äußern und dies in Form einer positiven Rückmeldung kundtun. So schafft man ein dynamisches, mündiges und lebendiges Umfeld.“

 

Frage Herr Osterath: Welche Empfehlung geben Sie anderen Führungskräften, die sich mit Vertrauen befassen/sollten?
Antwort Herr Osterath: „Ich empfehle, zunächst an der eigenen Person zu arbeiten. Ist man selber glaubwürdig? Authentisch? Gradlinig? Verlässlich? Wie wirkt man auf Andere? Diese Fragen sollte man sich kritisch stellen und ehrlich für sich beantworten. Meiner Meinung nach ist das die Grundlage für die Außenwirkung, die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.“

 

In seinen Ausführungen betont Herr Osterath die Vorbildfunktion und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und dem eigenen Verhalten bzw. der Fremdwirkung. Nur so kann in den Augen von Herrn Osterath Authentizität und Glaubwürdigkeit vermittelt werden. Eine ausschließliche Niederschrift von Leitlinien zu Führung und Zusammenarbeit auf Papier ist seiner Meinung nach wertlos und verpufft in ihrer Wirkung, wenn die Inhalte nicht gelebt werden.

Frage an Herrn Osterath: Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig zu sagen?
Antwort von Herrn Osterath: „Vertrauen basiert auf Grundwerten. Vertrauen lässt sich nicht erzwingen, sollte erarbeitet und gelebt werden. Authentisch. Glaubwürdig. Kontinuierlich.“

An dieser Stelle an großes Danke an Herrn Osterath für das Interview. Ich fand das Gespräch sehr authentisch und für mich sehr überzeugend. In der Art und Weise, wie Thomas Osterath seine Statements präsentierte, wurde deutlich, dass er als Privat- und Geschäftsmann hinter diesen Aussagen steht. In Gesprächen außerhalb des Interviews erzählte mir Herr Osterath, dass werteorientiertes Handeln auch für ihn im privaten Umfeld sehr wichtig ist. Das macht für ihn Authentizität aus. Ich würde mir wünschen, öfter mit Unternehmensleitungen in dieser überzeugenden und selbstkritischen Form in den Dialog treten zu dürfen.

Was zeigen die Aussagen von Thomas Osterath. Basis für gute Führung ist, seine Werte oder seinen inneren Kompass als Führungskraft zu kennen bzw. bewusst zu definieren und bewusst mehr „am“ als „im“ Unternehmen zu arbeiten; also sich auch in der verantwortlichen Rolle als Kulturgestalter zu verstehen und auch den betriebswirtschaftlichen Sinn von Kulturarbeit zu verstehen und zu nutzen. In Anlehnung an die eigenen Werte auch Orientierung für strategische Neuausrichtungen zu geben und sinnstiftend zu kommunizieren, versteht Herr Osterath in hohem Maße für sein Unternehmen.

 

In seinem Führungsverständnis repräsentiert Herr Osterath einen klaren Paradigmen-wechsel, wenn man sich mit Führung über viele Jahre befasst. Zukunftsfähigkeit in der Führung erfordert ein Umdenken vom ICH zum WIR. Gebraucht werden Führungskräfte wie Thomas Osterath, die die Bedürfnisse aller im Blick haben, die systemisch denken und es verstehen, wirtschaftlichen Erfolg mit Unternehmenskultur zu verbinden.

 

Nach dem sehr bereichernden Interview mit Thomas Osterath musste ich an Richard Barrett denken, der sehr stark das Thema werteorientierte Führung fokussiert. Er nennt  fünf Merkmale, die eine evolutionäre Führungskraft auszeichnen und ihr die Fähigkeit verleihen, Kultur nachhaltig zu verändern:

  1. Anpassungsfähigkeit.
  2. Kontinuierliches Lernen bzw. Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung.
  3. Die Fähigkeit, Verbindungen mit anderen einzugehen.
  4. Die Fähigkeit – oder auch der Wille – zur Kooperation.
  5. Der souveräne Umgang mit Komplexität.

 

Die eigenen Werte zu kennen und bewusst mit ihnen zu arbeiten, ist der Schlüssel zu Authentizität und Erfolg. Wie will ich führen? Was ist mir dabei wichtig. Dass dies keine einfache Frage ist, ist sicherlich einleuchtend. Aber eine lohnenswerte Frage. Gute Führung sollte meiner Meinung nach werteorientiert sein, das heißt, Aspekte wie z.B. Respekt, Mündigkeit, Vertrauen, Fairness sind damit eingeschlossen. Führen heißt dabei, sowohl sich selbst zu führen als auch den Mitarbeiter, das Team oder den Chef. In der Welt der harten Zahlen kommen ethische Grundsätze häufig zu kurz. Oft erkennen wir unsere Werte erst dann, wenn wir in einen Wertekonflikt geraten. Konflikte oder Spannungen basieren auf unterschiedlichen Werten (oder Bedürfnissen). Werte für sich zu erkennen, zu definieren und auch deutlich zu kommunizieren, schafft auch für das Gegenüber, also die Mitarbeiter und Kollegen, eine gute Grundlage. Denn als Mitarbeiter weiß ich, worauf ich mich verlassen kann. Es gibt mir als Mitarbeiter Sicherheit und Verlässlichkeit, wenn ich weiß, dass mein Vorgesetzter für bestimmte Werte steht. Daher ist die Kommunikation der Werte sehr wichtig.  Wenn ich als Führungskraft meine Werte nicht kenne oder nicht kennen möchte, werde ich nicht gut führen können. Ich werde dann lediglich eine unklare und undefinierbare Person sein. Kennen Vorgesetzte sich und ihre Werte, dann wird dies ein hoher Erkenntnisgewinn für sie sein; und zwar in allen Facetten. Für das berufliche und private Leben. Erst dann können Vorgesetzte selbst überprüfen oder reflektieren, in wieweit ihr Verhalten sich auch an dem, was Ihnen wichtig ist, orientiert. Oder ob eine Anpassung vielleicht sinnvoll wäre. Es lohnt sich also auf jeden Fall, den eigenen Kompass, also seine eigenen Werte zu reflektieren.

In vielen deutschen Unternehmen bzw. Organisationen wurde lange Zeit stark der Fokus auf Hierarchie, Rollen, Regeln und Strukturen gesetzt. Die Befragungen spielgelt eine positive Entwicklung, nach der es mehr denn je auf Beziehungen, Dialog und Kooperation ankommt und persönliche und organisationale Werte mehr unternehmerische Relevanz bekommen. Ich finde es wichtig, dass Wertediskussionen eine unternehmerische Legitimation erhalten. Letztendlich profitiert ein Unternehmen durch ein gutes Betriebsklima davon - die Innovationsfähigkeit sowie die wirtschaftliche und operative Leistungskraft steigen.
Meine Empfehlung an Führungskräfte ist, unabhängig wie lange sie in der Rolle als Führungskraft unterwegs sind, in einer einfachen Reflexion ihre Werte zu hinterfragen. Was sind
Werte, die mir sehr wichtig sind, Werte, die mir einigermaßen wichtig sind und Werte, die mir nicht wichtig sind. Danach lohnt es sich, die folgenden Fragen zu beantworten:

-       Was sind die Beweggründe oder Überzeugungen, dass ich mich für diese Werte entschieden habe?

-       In welchen Kontexten unterstützen mich diese Werte?

-       Woran hindern sie mich?

-       Welche Konsequenzen haben diese Werte in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Kollegen?

-       Woran soll mein Umfeld (Team, Vorgesetzte, Partner, Patienten) meine Werte erkennen bzw. wie möchte ich meine Werte im sichtbaren Verhalten ausdrücken?

 

Eine wichtige Bilanz ist also: Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Werte und handeln Sie gezielt danach.

 

 

Autor: Michael Backes, Diplom Psychologe, Februar 2024. www.Michael-Backes.de



[1] Im Sinne der besseren Lesbarkeit nutze ich die männliche Schreibweise. Gemeint sind männlich, weibliche oder divers

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